BNN Ausgabe 24, S. 4
Dienstag, 30. Januar 2007
Weg zum Studium ist für Blinde besonders schwer
Studienzentrum für Sehgeschädigte in Vorreiterrolle
Von unserer Mitarbeiterin Rebecca Müller
Karlsruhe. Wenn abends im „Studienzentrum für Sehgeschädigte“ an der Universität Karlsruhe (SZS) die Lichter aus sind, darf man sich nicht täuschen lassen. Trotz Dunkelheit rauchen hier die Köpfe an den Arbeitsplätzen weiter. Lediglich die sehenden Mitarbeiter haben dann Feierabend. Die rund 50 blinden beziehungsweise sehbehinderten auf dem Campus gehören zu einer kleinen Minderheit, die es geschafft hat, ihr Interesse an einem Studium zu verteidigen. „Die Infrastruktur ist mittlerweile vorhanden und wird von den Krankenkassen weitgehend unterstützt“, betont SZS - Geschäftsführer Joachim Klaus. „Der Weg ins Studium scheitert bei den meisten an der mangelnden Unterstützung im persönlichen Umfeld.“ Das SZS berät Studierende aus ganz Deutschland, denn spezielle Beratungseinrichtungen für Sehgeschädigte sind rar. Zum Angebot gehören Mobilitätstraining, die Umarbeitung von Skripten in blindengerechte Texte sowie die Vermittlung zu Arbeitgebern. Speziell Sehbehinderte, also Menschen, die nicht blind, sondern im Sehen stark eingeschränkt sind, haben oft damit zu kämpfen, dass ihr Handicap nicht ernst genommen wird. Weil sie eine Brille tragen – wenn auch mit erheblich dickeren Gläsern als „normale“ Brillenträger -, sind sich manche Dozenten nicht darüber bewusst, dass sie zum Lesen von Aufgaben länger brauchen oder Grafiken an der Tafel nicht erkennen können. „Blinde haben es da einfacher“, sagt Institutsmitarbeiter Gerhard Jaworek, der selbst von Geburt an nichts sieht. „Diese Behinderung kann jeder viel einfacher einordnen.“ Jaworek ist eine der zentralen Anlaufstellen für die Studierenden. Er koordiniert die Aufarbeitung von Skripten, Klausuren und Fachliteratur in elektronische Sprache. „Die besondere Herausforderung sind mathematische Formeln und Grafiken“, erklärt er. Damit beschäftigt sich der diplomierte Informatiker auch in seiner Promotion. „Mein Traum ist, eine elektronische Beschreibungssprache zu entwickeln, die uns Blinden alle Forschungsbereiche eröffnet.“ Hier hat das Studienzentrum schon einiges erreicht. Allein, dass es an eine technische Universität angeschlossen ist, ist eine Besonderheit. Während Geisteswissenschaftler relativ leicht an Texte in Blindenschrift herankommen und am PC ihre Arbeiten verfassen können, müssen sich Naturwissenschaftler Schaltkreise, chemische Strukturen oder komplexe Formeln erschließen. „Dabei wird der Wird von grafischer Information allgemein überschätzt“, so Jaworek. „Das gesprochene Wort ist viel wichtiger.“ Das gelte auch für Sehende. In dieser Überzeugung gibt das SZS den Dozenten Hilfestellung, die irgendwann einen sehgeschädigten Studenten gegenüberstehen und nicht wissen, wie sie ihre Vorlesung gestalten oder eine Klausur aufbreiten sollen. „Wir wollen in erster Linie das Bewusstsein für besondere Fähigkeiten schaffen, die Nichtsehende haben“, betont Klaus. „Und durch den Umgang mit ihnen profitiert letzten Endes jeder auf dem Campus.“ Das Konzept des Studienzentrums ist einzigartig: Neben der Funktion als Beratungsstelle betreibt die Einrichtung Forschungsprojekte. Entsprechend renommiert ist der Ruf weit über Deutschlands Grenzen hinaus. Trotzdem studieren statistisch gesehen noch viel zu wenig Sehgeschädigte. „Wir sind dann zufrieden, wenn niemand mehr unsere Hilfe braucht“, sagt Klaus.